Sie hatten einander geliebt mit der brachialen Leidenschaft, die man aufbrachte, wenn man sich verbotenen und deshalb seltenen Genüssen hingab. Nun schlummerte sie in seinen Armen, die er sanft um ihre Schultern gelegt hatte.

Als sie ihn vor zwei Jahrzehnten kennen gelernt hatte, war er gerade einmal volljährig geworden. Evelyn hingegen war mit ihren 36 Jahren eine erblühte Schönheit mit langen braunen Haaren und praller Vergangenheit. Zum ersten Mal war sie ihm auf der „Housewarming Party“ ihrer neuen Nachbarin begegnet. Manuel war Ritas Sohn aus erster Ehe, ein hochgeschossener Jüngling, dunkeläugig und schüchtern. Glaubte Evelyn jedenfalls. Als er sie zum Tanzen aufforderte, war sie gerührt, als er sie zu „Strangers in the Night“ an sich drückte, verwirrt und als er ihr Haar küsste, verloren.

Nach diesem Abend stand sie täglich am Fenster und hoffte, dass er seine Mutter besuchte. Zwei Wochen später sah sie einen alten Golf vorfahren, aus dem sich das Objekt unerfüllter Sehnsucht schälte und zu ihr hinaufblickte. Hastig schloss sie den Vorhang.

Nach einer Weile kam er fast täglich und sie hörte auf, sich hinter der Gardine zu verstecken. Sie erwiderte das Lächeln, das er ihr jedes Mal schenkte.

Eines Tages läutete er an ihrer Tür, um sie zu einem Rockkonzert einzuladen, das seine Kumpels veranstalteten. Nichts hätte sie lieber getan, aber in Anbetracht des Altersunterschieds entschied sie sich dagegen. Vier lange Wochen vergingen, bis der alte Golf wieder auftauchte.

Diese 28 Tage ohne sein Lächeln hatten sie mürbe gemacht. Sie rannte aus ihrer Wohnung, um ihn abzupassen und er schien erfreut, sie zu sehen. Wieder lud er sie zu einem Musikevent ein. Das Konzert versetzte sie in einen jugendlichen Taumel. Begeistert ließ sie sich von der Musik und der Stimmung mitreißen und folgte Manuel bereitwillig zum After-Show-Event, der im Nebenraum stattfand. Er stellte sie seinen Freunden vor, die sich am Alter seiner Begleiterin keineswegs störten. Dann zog er Evelyn auf ein altes, kuscheliges Sofa, auf dem er es sich im Schneidersitz bequem machte und den Arm wie selbstverständlich um ihre Schulter legte. Sie saß etwas steif neben ihm, sah den Pärchen beim Tanzen zu und schlürfte Caipirinia, als plötzlich die Lichter ausgingen. Weiche, fordernde Lippen pressten sich auf ihren Mund. Im Schutz der Dunkelheit erwiderte sie seinen Kuss und spürte ein Beben, das ihren ganzen Körper durchzuckte. Sie verließen die Party und fuhren zu ihm. In dieser langen Nacht lehrte sie ihn die Liebe in ihren vielfältigen Facetten. Nie zuvor hatte sie ein derartiges Verlangen gespürt und nie zuvor ihre Phantasie derart strapaziert. Von nun an trieben sie es - wann immer Evelyn Zeit hatte - in seinem winzigen Appartement in einem anonymen Hochhaus. Evelyn scheute die Öffentlichkeit, während Manuel liebend gerne mit ihr ausgegangen wäre. Zu seinem 22. Geburtstag machte er ihr einen Heiratsantrag. Sie war so überrascht, dass sie um Bedenkzeit bitten musste.

Nach einer Woche hatte sie eine Entscheidung getroffen.

Sie trafen sich in seiner Wohnung.

Anstatt sie zur Begrüßung zu umarmen, sagte er: „Du hast lange gebraucht, es mir beizubringen.“

Sie schluckte: „Du hast Recht. Ich habe Tag und Nacht an nichts anderes gedacht und wie auch immer ich es drehe, es wird kein Schuh draus. Ich habe nichts gegen eine Schwiegermutter, die kaum älter als ich, aber ich fürchte mich davor, irgendwann einer Jüngeren wegen verlassen zu werden und allein zurückzubleiben in einem Ozean aus Schadenfreude, Hohn und Spott. Beende dein Studium und such dir dann eine Frau, die zu dir passt.“

Er sah sie lange an. Die Enttäuschung stand ihm in die dunklen Augen geschrieben.

„Du liebst mich nicht, wie ich dich. Wenn ich mein Studium beendet habe, frage ich dich noch einmal, denn ich begehre dich, wie ich nie zuvor eine Frau begehrt habe.“

Dann bat er sie, ihn allein zu lassen. Sie nahm ihre Sachen und ging. Er meldete sich nicht mehr bei ihr. Mehr als zwei Jahre litt sie, dann hatte sie ihn überwunden.

Eines Tages lernte sie in ihrer Funktion als Software-Vertriebsleiterin einen Wirtschaftsprüfer kennen, der altersmäßig gut zu ihr passte. Richard hatte eine große Kanzlei, war geschieden, gut aussehend, charmant und belesen. Sie mochte ihn auf Anhieb und nach ein paar Jahren wilder Ehe legalisierte sie ihre Beziehung. Sie gab ihren Job auf, zog in sein Haus am Stadtrand, pflegte den Garten und langweilte sich ein wenig. Trotzdem bereute sie diese Entscheidung nicht, denn Richard machte sie glücklich in nahezu jeder Hinsicht, auch in sexueller. Manchmal allerdings ertappe sie sich dabei, dass sie an Manuel dachte und an das Versprechen, das er nicht eingelöst hatte.

Richard riss sie aus ihren Gedanken: „Meine Tochter wird nach München zurückkehren.“

„Wie hast du das denn geschafft?“

„Ich habe ihren neuen Freund eingestellt. Der Kerl hat vor knapp einem Jahr sein Langzeitstudium beendet und fristet seitdem in einer Mikrokanzlei in Passau ein wenig zukunftsträchtiges Dasein. Hast du etwas dagegen, wenn wir die Beiden nächste Woche zum Essen einladen?“

Sie hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, sie freute sich auf etwas Abwechslung. Richards Tochter Nadine lebte bei ihrer Mutter in Passau und hatte ihren Vater seit seiner Hochzeit mit Evelyn nicht gesehen.

Sie verabredeten sich in einem italienischen Edelrestaurant. Richard und Evelyn waren zuerst eingetroffen und setzen sich so, dass sie einen Blick auf den Eingang hatten. Plötzlich erstarrte Evelyn. Nadine hatte Manuel im Schlepptau. Als er Evelyn sah, zeigte er keinerlei Zeichen des Erkennens. Sie stellten einander vor und das junge Paar setzte sich. Während sie sich unterhielten, versuchte Manuel verstohlen, Blicke mit Evelyn zu tauschen. Sie wich ihm aus, spürte aber, dass seine Füße unter dem Tisch mit ihren Beinen Kontakt aufnahmen. Sie entschuldigte sich. In der Toilette versuchte sie, sich zu beruhigen. Als sie heraustrat, wartete Manuel auf sie.

„Du hast unsere Liebe verraten“, sagte er.

„Und du hast dein Versprechen gebrochen.“

Er schwieg. Sie ließ ihn stehen und kehrte an ihren Tisch zurück.

„Liebes, macht es dir etwas aus, wenn wir langsam aufbrechen? Ich bin hundemüde.“

„Aber nein, Liebling. Du siehst wirklich ein wenig angegriffen aus.“ Richard nahm zärtlich die Hand seiner Frau und winkte mit der anderen dem Ober.

Am nächsten Tag rief Manuel bei ihr zu Hause an.

„Ich habe es nicht ausgehalten, konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich muss dich unbedingt wieder sehen. Bitte.“

Seine Stimme klang flehentlich, fast verzweifelt.

Sie trafen sich in einem Hotel. Bevor sie redeten, liebten sie sich.

„Warum hast du nicht gewartet?“

Manuel stieß die Frage ganz leise aus, während er seinen Kopf in ihren Arm gebettet hatte.

„Ich mochte nicht mehr warten. Du weißt nicht, wie es ist, wenn man auf die 40 zugeht und nichts hat, als ein Versprechen, das möglicherweise nie eingelöst wird.“

Er richtete sich auf und sah sie eindringlich an. „Ich wollte erst einmal eigenes Geld verdienen, um dir zu beweisen, wie ernst es mir ist.“

Als sie sich voneinander verabschiedeten, hatte er Tränen in seinen nachtschwarzen Augen. „Ich werde in Passau bleiben. Ich könnte deine Nähe nicht ertragen, ohne dich berühren zu dürfen.“

„Seit wann wusstest du, dass mein Mann der Vater deiner Freundin ist?“

Manuel blieb ihr die Antwort schuldig.

Ein halbes Jahr später gab Nadine ihre Verlobung bekannt. Dann wurde sie schwanger und bevor dieser Umstand sichtbar wurde, lud sie ihre Familie zur Hochzeit ein.

Für Evelyn war dieser Tag der schlimmste ihres Lebens.

Von Neid und Eifersucht zermartert, verfolgte sie, wie Richard seine Tochter stolz zum Altar führte und sie beobachtete den Mann, der seine hübsche Braut kaum eines Blickes würdigte. Manuels Mutter saß in der ersten Reihe neben Evelyn. Rita sah fast so atemberaubend aus, wie ihr junger Begleiter. Ihr Aussehen verdankte sie nicht nur den erfahrenen Händen eines Chirurgen, sondern ganz offensichtlich auch den geschickten Händen ihrer neuen Eroberung.

Nach seinen Flitterwochen bat Manuel Evelyn erneut um ein Rendezvous. Sie trafen sich auf halbem Weg zwischen München und Passau.

Später richtete Manuel es so ein, dass er einmal monatlich mit Frau und Kind nach München kam, um Nadines Vater eine Freude zu bereiten. Richard nahm sich dann frei, um mit Tochter und Kind etwas zu unternehmen und Manuel verbrachte die Zeit mit Evelyn in einem Hotel.

Diese Lösung bewährte sich über Jahre. Nie kamen sie in eine verfängliche Situation, nicht einmal dann, wenn sie zu fünft ihre Ferien in Richards Sommerhaus am Gardasee verbrachten. Es schien geradezu, dass das Konspirative ihrer Beziehung, ihre Ehen festigte. Und doch blieb stets dieses bittere Gefühl von Unerfülltheit, das im Laufe der Zeit stärker wurde.

Als sie wieder einmal einen langen Nachmittag in liebevoller Umarmung verbracht hatten, murmelte Manuel. „Ich bin seit einiger Zeit in Behandlung wegen schwerer Herzkammerlusstörungen. Ich wollte dich nicht ängstigen, deshalb habe ich dir nichts davon erzählt. Mit 41 Jahren sollte man derlei Beschwerden eigentlich nicht haben.“

Evelyn sah ihn betroffen an.

„Bitte mach dir keine Sorgen. Es ist wirklich nichts Schlimmes. Allerdings sollte ich zur Kur und die böte eine wunderbare Gelegenheit, endlich einmal mit dir zu verreisen.“

Sie dachten darüber nach, wie Evelyn ihrem Mann beibringen sollte, dass sie für wenigstens 3 Wochen weg sein würde. Die Lösung war einfach. Nadine sollte während Manuels Kur mit ihrer kleinen Tochter an den Gardasee fahren und Richard sollte ihr dort Gesellschaft leisten. Evelyn erklärte ihrem Mann, dass sie ihn nicht begleiten konnte, weil sie einfach einmal Zeit für sich brauchte, um Dinge zu ordnen und sich mit Freundinnen zu treffen.

Einen Tag nach Richards Abreise fuhr sie nach Bad Schönau. Sie mietete sich in einem kleinen Hotel ein und Manuel holte sie abends ab. Zum ersten Mal dinierten sie allein in einem Restaurant, denn ihre Zweisamkeit hatte sich bisher auf Hotelzimmer beschränkt. Sie waren aufgeregt, wie Teenager, die ihr erstes Date hatten. Manuel lächelte sie zärtlich an. Seine Augen schimmerten im Kerzenlicht noch dunkler als sonst.

„Ich habe den Tisch für Frau und Herrn Sommer bestellt und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du endlich meinen Namen trägst. Aber ich bin auch gerne bereit, deinen Mädchennamen anzunehmen.“

„Oder wir tragen einen Doppelnamen. Sommer-Siebentritt, das klingt schön.“

„Meinst du das ernst?“

Evelyn flüsterte, „...das mit dem Doppelnamen?“

„Du weißt, was ich meine.“

„Ich werde es ihm sagen, und du?“

„Sobald ich zurück bin, mache ich reinen Tisch. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben und jetzt will ich nicht mehr Versteck spielen. Ich hasse diese Lügen, diese Ausreden und dieses Abschiednehmen immer dann, wenn es am schönsten ist. Vielleicht hat mich das krank gemacht. Das Herz spiegelt die Seele und mein Herz ist müde.“

Sie nahm seine Hand und führte sie an die Lippen.

„Du hast Recht. Wir sind es auch unseren Partnern schuldig.“

Als Evelyn am nächsten Morgen erwachte und die Sonne über dem Horizont aufsteigen sah, fühlte sie sich seltsam befreit. Ihr war, als habe Jemand die Tür eines Käfigs aufgestoßen, eines mit weiten Gitterstäben zwar, aber doch ein Käfig.

Manuel erholte sich zusehends. Zwischendurch fuhr Evelyn nach München, um dort nach dem Rechten zu sehen. Sie telefonierte täglich mit Richard, ohne ihm zu sagen, was sie ihm nur persönlich beibringen konnte. Kurz vor dem Ende von Manuels Kur machte sie eine Andeutung, die Richard nicht verstand.

Es war ihr letzter Abend in Bad Schönau. Sie schlummerte in Manuels Armen, die er sanft um ihre Schultern gelegt hatte. Sie hatten einander wieder geliebt mit der leidenschaftlichen Hingabe, die man aufbrachte, wenn man sich verbotenen Genüssen hingab.

Ein wenig fürchtete sie sich davor, Richard die Wahrheit zu sagen. Manuel stand das Gleiche bevor. Was, wenn er plötzlich kalte Füße bekam? Sie verscheuchte diese Gedanken und blickte auf ihn hinunter. Er schlummerte friedlich und sah immer noch aus wie der Jüngling, den sie vor langer Zeit kennen und lieben gelernt hatte. Sein schwarzes Haar, von wenigen grauen Fäden durchzogen, verdeckte seine glatte Stirn und auf dem Kinn wucherten ein paar dunkle Bartstoppeln. Er wachte auf und strahlte sie an.

„Wie lange schaust du mich schon an?“

Sie antwortete nicht, stattdessen machte sie sich unter der Bettdecke an seinem Gemächt zu schaffen.

„Du bist unersättlich, weißt du das?“

Er zog sie auf sich und rammte sein Glied in ihre Scheide. Sie stöhnte vor Verzückung und dann bewegten sie sich wie Synchrontänzer, sie waren gut aufeinander eingespielt. Plötzlich schrie er. Nur kurz, dafür aber umso intensiver. Er war zum Höhepunkt gekommen und dann hatte sein Herz aufgehört zu schlagen.