Er hob die Zeitung noch höher, um sie nicht sehen zu müssen, denn er konnte ihren Anblick nicht ertragen. Besonders heute, da die Sonne die Frühstücksszene in gleißendes Licht tauchte, nahm er alles wie durch ein Vergrößerungsglas wahr. Wie sie ihr Ei mit dem Messer köpfte, wie sie es mehr zerpflügte, als aß und ihr dabei das Eigelb vom Mund tropfte. Alles tat sie sehr geräuschvoll, so als hoffte sie, auf diese Weise seine Aufmerk samkeit zu erregen. Er wusste, ohne dass er sie sah, ob sie Kaffee trank, in ihr Brötchen biss, oder Joghurt löffelte. Es widerte ihn an, morgens in ihr un geschminktes teigiges Gesicht mit den kleinen wässrigen Augen zu blicken. Seit sie verheiratet waren, ließ sie sich gehen.Als er sie vor drei Jahren im Golfclub kennen gelernt hatte, war sie ein fröhliches, rundliches Mädchen, gesegnet mit erfrischender Spontaneität und dem naiven Charme einer höheren Tochter, gewesen. Was ihm aber am meisten an ihr imponiert hatte, war ihr sportliches Talent. Souverän gewann sie die meisten der ausgeschriebenen Turniere. Humor und golferisches Genie waren damals nicht die einzigen herausragenden Eigenschaften, die ihm an Charlotte gefielen. Sie besaß etwas, das ihn weit mehr reizte. Die üppige Schönheit war das einzige Kind eines erfolgreichen Papierfabrikanten, während er als Prokurist in einer heruntergekommenen Kartonagenfabrik, die seit Jahren an der Insolvenz vorbeischlitterte, ein wenig hoffnungsvolles Dasein fristete. So fügte sich das eine in das andere. Nach nicht einmal einem Jahr war Jonas der viel fach beneidete Gatte der reichsten Erbin der Stadt und Vize-Direktor im schwiegerelterlichen Unternehmen.Um Ersteres wurde er mittlerweile nicht mehr beneidet, denn nach nur 3 Jahren Ehehölle hatte sich das zauberhafte Wesen in ein Schlachtschiff mit stoppeligen mausfarbenen Haaren verwandelt, das seinen Blick morgens mit einem halbgeöffneten Seidenmorgenmantel beleidigte, aus dem schwere Brüste ihren Weg ins Freie suchten. Was Jonas aber am meisten an Charlotte nervte, war ihr ständiges Gekeife. Seit er in ihrem Hause lebte, hatte sie drei Dienstmädchen verschlissen. Er fiel ihm schwer zu glauben, dass er sich so in ihr getäuscht hatte. Von Tag zu Tag verabscheute er sie abgrundtiefer.Nach dem Frühstück waren sie mit Charlottes Vater und dessen Frau Marlene zum Golfen verabredet. Jeden Sonntag trafen sie sich im Club. Marlene war Jonas´ Sekretärin gewesen, als Karl völlig überraschend um ihre Hand anhielt. Mit seinen siebzig Jahren war Karl Neuwerth fast vierzig Jahre älter als seine rassige zweite Frau. Dieser Umstand kam Marlene eher entgegen, als dass er sie gestört hätte. Das lag daran, dass sie seit ihrer Eheschließung regelmäßig mit Jonas schlief. Vorher hatte sie ihn nicht interessiert.

Erst als er sie auf der Hochzeit neben Karl sitzen sah, erschien sie ihm begehrenswert. Vielleicht lag es daran, dass sie den Erbanspruch seiner Frau halbierte. Jedenfalls spürte er in diesem Moment, dass er sie unbedingt haben musste und dass ihm kein Preis zu hoch erschien, dieses Ziel zu erreichen. In ihren Augen glaubte er das gleiche Verlangen zu lesen und so hatte er ihr noch während der Feierlichkeiten unmissverständlich den Hof gemacht. Als er der Braut während eines Tanzes seine Wünsche schamlos ins Ohr geflüstert hatte, hatte sie viel sagend gelächelt. Trotzdem hatte es ihn verblüfft, dass sie sich bereits drei Tage später mit ihm in einer benachbarten Kleinstadt traf. Jonas hatte es so einrichten können, dass er einen Auswärtstermin bei einem Lieferanten der Papier und Pappe Neuwerth KG wahrnahm und Marlene auf dem Weg dorthin treffen konnte.

Für ihr Tete a Tete hatten sie sich ein ebenso hässliches, wie diskretes Vertreterhotel in einer Seitenstraße ausge sucht, in dem sie sich seither mindestens an vier Nachmitta gen pro Monat vergnügten. Marlene war die aufregendste Frau, der er je begegnet war. Zu ihren Verabredungen kam sie stets auf hochhackigen Pumps angestöckelt, eingehüllt in dunkle Capes, enge Röcke und durchsichtige Seidenblusen. Darunter trug sie außer halterlosen Strümpfen meistens nichts. Allein die Vorfreude daran beflügelte ihn jedes Mal aufs Neue und seine Sehnsucht nach ihr stieg von Mal zu Mal. Die Angst, erwischt zu werden, erhöhte den verbote nen Reiz um ein Vielfaches.

Charlotte erhob sich vom Frühstückstisch und schlurfte Richtung Ankleidezimmer, um sich in ihre Golf-Rüstung zu zwängen. Wenn sie sich mit seinen Schwiegereltern trafen, brauchte Charlotte noch länger als sonst für ihre Restauration. Wahrscheinlich wollte sie ihre Stiefmutter wenigstens bei der Auswahl ihrer Kleider übertrumpfen. Das gelang ihr bedingt, wenn man den Kostenfaktor außer Acht ließ. Charlotte trug nur Maßgeschneidertes. Endlich erschien sie auf der Treppe. Entsetzt starrte Jonas auf Charlottes Outfit. Sie trug eine pink-gelb karierte Hose, die sie noch breiter wirken ließ und dazu einen bonbonfarbenen Kaschmirpulli, der ihr viel zu eng war.

"Möchtest Du wirklich in dieser Aufmachung auf den Golfplatz?"

"Wieso regst Du Dich auf? Marlene trägt doch auch bevorzugt Schweinchenrosa."

Jonas war irritiert über diese Bemerkung.

Erst nach einer Schocksekunde konnte er darauf reagieren. "Diese Farbe steht leider nicht jedem."

Charlotte ließ sich durch seine höhnische Bemerkung nicht einschüchtern. Sie lächelte giftig.

Als sie ihren Wagen vor dem Clubhaus einparkten, stellte Jonas fest, dass die Neuwerths bereits eingetroffen waren. Ihr dunkelblauer Jaguar glänzte provozierend in der Sonne. Jonas hatte Marlene versprochen, sie eines Tages in diesem Vehikel auf den weichen Ledersitzen zu lieben.

Jonas und Charlotte fanden ihre Mitspieler auf der Ter rasse. Die beiden hatten ein Tablett mit Kaffee und kleinen Snacks vor sich stehen.

Karl sprang sofort auf, als er das Paar erblickte: "Ihr seid mal wieder reichlich spät an", grinste er und schlug seinem Schwiegersohn jovial auf die Schulter.

" Du weißt ja, Deine Tochter... sie wollte heute einfach besonders bezaubernd aussehen und hat deswegen etwas länger gebraucht“.

Karl ignorierte die Gehässigkeit in Jonas´Stimme.

Während des Spiels warfen sich Jonas und Marlene fortwährend verstohlene Blicke zu. Charlotte bemerkte offensichtlich nichts. Das Einlochen ihrer Bälle erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Ihr Gesicht hatte sie unter einer dunklen Sonnenbrille ver borgen, die den Ausdruck äußerster Anspannung verstärkte. Karl schien mit seinen Gedanken bei einer geschäftlichen Transaktion zu sein. Er wirkte abwesend.

Sie waren am Abschlag des 16. Fairways angelangt, als Jonas seinen Ball umständlich auf das Tee platzierte, um ihn rauszuhauen. Seine drei Flightpartner standen etwas seitlich und sahen ihm unbeweglich dabei zu. Er ließ sich Zeit, denn er musste sich konzentrieren. Unendlich langsam setzte er den Driver in Bewegung. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Position seines Schwiegervaters. Der Ball verzog nach links und schlug genau in die Richtung, die Jonas seit Tagen heimlich geübt und berechnet hatte. Schließlich war auch er ein ausgezeichneter Spieler. Noch während er sich umdrehte, bemerkte er, dass Marlene aus irgendeinem unerfindlichen Grund stolperte. Der Ball traf sie direkt an der Schläfe. Mit schreckgeweiteten Augen fiel sie vor ihren Mann, der sie aufzufangen versuchte. Blut quoll in gewaltigen Fontänen aus der Stelle, an der sie getroffen worden war. Karl bemühte sich mit einem Taschentuch vergebens, die Wunde zuzuhalten. Marlene starb in seinen Armen.

Die Untersuchung des Geschehens hatte ergeben, dass es sich ganz offensichtlich um einen schrecklichen Unfall gehandelt hatte. Die Villa und die Fabrik seines Schwiegervaters durfte Jonas nicht mehr betreten. Er war mit sofortiger Wirkung beurlaubt worden. Dagegen hatte er sich nicht gewehrt. Seit dem Vor fall wohnte er im Hotel.

Er hatte darum gebeten, an der Beerdigung teilnehmen zu dürfen, aber auch dieser Wunsch wurde ihm verwehrt. So musste er der Zeremonie aus sicherer Entfer nung - versteckt hinter Grabsteinen - beiwohnen. Als sich die feine Trauergesellschaft dem Ausgang zu bewegte, lief er hin und packte Charlotte, die etwas hinter ihren Angehörigen geblieben war, am pelzbesetzten Ärmel.

Sie tat überrascht, war es aber offenbar nicht: "Nun gut, da Du schon mal hier bist, kann ich es Dir ja auch gleich sa gen. Gestern habe ich die Scheidung eingereicht. Deine Sa chen wer den gerade aus meinem Haus entfernt. Die Spedition lagert sie ein, bis Du Bescheid gibst, was damit passieren soll."

Jonas sah seine letzten Felle davonschwimmen. "Aber warum? Soll das der krönende Abschluss Eurer Bestrafungsorgie sein, nachdem ich in Schimpf und Schande aus der Firma gejagt wurde. Und das nach allem, was ich für Deinen Vater getan habe?"

"Ha, dass ich nicht lache! Hörner hast Du ihm aufgesetzt und das vermutlich schon vor seiner Hochzeit. Wenn du dich fügst, wird er nie erfahren, dass Du ihn und mich mit diesem billigen Flittchen hintergangen hast und zu allem Übel auch noch ver sucht hast, ihn umzubringen."

Ihre Schritte wurden ausholender. Jonas blieb zurück und starrte ihr nach, wie sie davoneilte, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Plötzlich wusste er, warum Marlene gestol pert war.